10.01.2020

Europarechtswidrigkeit der HOAI Mindest- und Höchstsätze - Folgen für die Praxis

Im Rahmen eines Vertragsverletzungsverfahrens hat der Europäische Gerichtshof („EuGH“) am 04.07.2019 entschieden, dass die Bundesrepublik Deutschland durch die Beibehaltung von verbindlichen Honoraren für die Planungsleistungen von Architekten und Ingenieuren gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 15 I, II Buchst. g und III der Richtlinie 2006/123/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12.12.2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt („Dienstleistungsrichtlinie“) verstoßen habe. Zur Begründung hat der EuGH im Wesentlichen angeführt, dass die Regelungen der HOAI eine Inkohärenz erkennen lassen, da neben Architekten und Ingenieuren auch andere nicht reglementierte Dienstleistungsanbieter Planungsleistungen erbringen könnten, die nicht die fachliche Eignung nachgewiesen haben, was nicht im Einklang mit dem an sich von der HOAI verfolgten Ziel einer hohen Qualität von Planungsleistungen stehe. Die Mindestsätze der HOAI seien daher nicht geeignet, das Ziel hoher Planungsqualität zu erreichen, da für die Vornahme der Leistungen, die diesen Mindestsätzen unterliegen, nicht selbst Mindestgarantien gelten, die die Qualität dieser Leistungen gewährleisten können.

Infolge der Entscheidung des EuGH mussten sich mehrere deutsche Oberlandesgerichte mit der Frage beschäftigen, ob die europarechtswidrigen Regelungen der HOAI zu den zwingenden Mindest- und Höchstsätzen zwischen Privaten weiterhin anzuwenden sind oder nicht. Eine eindeutige Tendenz ist in der obergerichtlichen Rechtsprechung indes aktuell nicht erkennbar.

So haben das OLG Celle (Entscheidungen vom 17.07.2019 und vom 14.08.2019) und das OLG Düsseldorf (Entscheidung vom 17.09.2019) entschieden, dass die vom EuGH für unionrechtswidrig erklärten zwingenden Mindest- und Höchstsätze der HOAI auch zwischen Privaten nicht mehr angewendet werden dürften; es gelte der Anwendungsvorrang des Unionrechts, welches in Gestalt der Dienstleistungsrichtlinie unbedingt und hinreichend genau verbiete, dass der HOAI unterfallenden Leistungen einer Preisbindung durch Mindest- und Höchstsätze unterliegen.

Hingegen gehen das OLG Hamm (Entscheidung vom 23.07.2019), das KG Berlin (Entscheidung vom 19.08.2019) und zuletzt auch das OLG München (Entscheidung vom 08.10.2019) davon aus, dass das zwingende Preisrecht der HOAI zwischen Privaten auch weiterhin anwendbar sei. Zum einen habe der EuGH in dem Vertragsverletzungsverfahren lediglich festgestellt, dass sich ein Mitgliedsstaat vertragswidrig verhalten habe, was gleichsam die Verpflichtung der Bundesrepublik Deutschland begründe, geeignete Maßnahmen zu treffen, um dem Urteil des EuGH Folge zu leisten. Insbesondere sei also die Legislative aufgefordert, die europarechtswidrige Norm zu ändern oder aufzuheben. Zum anderen habe der EUGH gerade nicht festgestellt, dass das zwingende Preisrecht der HOAI gegen allgemeingültiges europäisches Primärrecht, insbesondere nicht gegen die Niederlassungs- und/oder Dienstleistungsfreiheit, verstoße. Die Dienstleistungsrichtlinie, gegen die die das Mindestpreisgebot der HOAI verstoße, wirke hingegen gerade nicht Privaten, da eine Richtlinie nach ständiger Rechtsprechung des EuGH selbst keine Verpflichtungen für den Einzelnen begründen könne.

In der Praxis wirkt sich die Entscheidung des EuGH nicht auf Verträge aus, auf welche die HOAI auch bislang keine Anwendung fand. Es kann weiter davon ausgegangen werden, dass solche Verträge, auf die die HOAI zwar Anwendung findet, bei denen die Parteien aber ein Honorar innerhalb der Mindest- und Höchstsätze der HOAI vereinbart haben, von der Entscheidung des EuGH unberührt bleiben; hier gilt dann das vereinbarte Honorar und auf das zwingende Preisrecht der HOAI kommt es nicht an. Problematisch sind die Fälle, in denen die Parteien in einem Vertrag, auf den die HOAI Anwendung findet, ein Honorar außerhalb der zwingenden Mindest- und Höchstsätze vereinbart haben. Hier besteht angesichts der divergierenden obergerichtlichen Entscheidungen und bis zur höchstrichterlichen Klärung eine erhebliche Rechtsunsicherheit; entsprechende Revisionsverfahren sind derzeit beim BGH anhängig.

 

Rechtsanwalt David Wöhler

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